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Was man von einer verkleideten Zöllnerin lernen kann

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„Ausländeramt versteht interkulturelle Öffnung als Daueraufgabe“, titelte der Waterbölles am 30. April. Auf ihrer Internetseite hat jetzt die DGB-Jugend NRW das Thema aufgegriffen. Der Waterbölles dokumentiert den Bericht mit freundlicher Genehmigung (Orignal :© dbb jugend nrw):

„Remscheid gehört zu einer der wenigen Ausländerbehörden in Deutschland, die derzeit erproben, wie Zuwanderer freundlicher empfangen werden können. Dazu gehört es auch, den Mitarbeitern mehr Wissen über die kulturellen Hintergründe der Menschen zu vermitteln, die zu ihnen kommen. Tabitha Henn erzählt, was das bedeutet.
Wenn Menschen aus fremden Ländern nach Deutschland kommen, ist die Ausländerbehörde die erste Anlaufstelle für sie. Nicht immer aber haben sich die Angereisten sprachlich und inhaltlich auf das vorbereiten können, was sie dort erwartet. Manchmal erreichen sie unser Land nach langer Flucht und nachdem sie Lebensbedrohliches ausgehalten haben. Und dann? Dann müssen sie sich in einer Behörde zurechtfinden, in der sie schon daran scheitern, dass sie die Beschriftungen der Flure und Türen nicht lesen können, geschweige denn ein Gespräch in einer ihnen fremden Sprache führen. Wie sich das anfühlt, hat Tabitha Henn in einer speziellen Schulung des Instituts imap selbst erfahren.

"Unsere Referentin - sie ist selbst Türkin - hatte sich als Zollbeamtin verkleidet. Wir kamen in einen Raum hinein, sie stand dort, redete laut auf Türkisch und verteilte an jeden von uns einen Zettel", erinnert sich die junge Verwaltungsfachangestellte. Nach "eman" wurde dort gefragt und nach "emanrov". Nach erstem unsicherem Zögern wird ihr klar, dass dort Name und Vorname abgefragt wird. "Ich habe die Felder also ausgefüllt und meinen Zettel wie die anderen auch wieder abgegeben", sagt sie weiter. Die Reaktion der immer noch gesti­kulierenden Referentin aber war nicht wie erwartet. Sie zerriss die Zettel und warf sie weg. "Wir waren vollkommen ratlos und wussten nicht, was sie von uns wollte." Erst nach einiger Zeit begriffen die Schulungs­teilnehmer, dass sie die persönlichen Anga­ben, die auf den Zettel geschrieben werden sollten, alle rückwärts und rechtsbündig schreiben mussten.

Das verwirrende Experiment hat gesessen. Tabitha erklärt nachher, dass so ähnlich die Situation beispiels­weise für eine afghanische Familie sein muss, die in Deutschland ersten Kontakt zur Ausländerbehörde hat. "Wie mag das wirken, ein Gespräch zu suchen und erst mal ein Formular in die Hand gedrückt zu bekommen, auf den man aus Sicht der Familie falsch herum etwas aufschreiben soll", versetzt sich Tabitha Henn in die Situation.

Das will man modellhaft zunächst in einigen Städten ändern. Seit gut einem Jahr beteiligt sich darum auch das Ausländeramt der Stadt Remscheid am Modellprojekt "Willkommensbehörde". Ziel ist es, auch in Anbetracht des demografischen Wandels und des wachsenden Fachkräftemangels, diese Ämter als "Rezeptionen des Landes" darin fit zu machen, angemessen auf die jeweiligen Menschen einzugehen und sie für die Lage der Migranten zu sensibilisieren. "Wir möchten, dass Zuwanderer in Deutschland willkommen sind und ihre mitgebrachten Potenziale noch stärker anerkannt werden", beschreibt Dr. Manfred Schmidt, Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF).

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Später sollen alle 549 bundesdeutsche Einwanderungsbehörden derart verändert werden. Tabitha beeindruckt das, was sie in zwei Tagen gelernt hat: "Es ist so viel, dass ich es in meinem Alltag gar nicht auf einmal umsetzen kann", gibt sie unumwunden zu. Aber sie habe andere Augen für manches Verhalten bekommen, das Einwanderer aufgrund ihrer Herkunft zeigen, das uns aber befremdet.

Dann erzählt sie von der Pfirsich- und Kokosnusskultur. Pfirsiche sind außen weich und haben innen einen harten Kern. Auf Menschen übertragen heißt das: Manche Kulturen zeigen sich zwar erst mal sehr offen, sind aber eher unverbindlich. "Das sind solche Kulturen, die sich zwar sehr interessiert zeigen und gleich einladen, mal vorbei zu kommen, das aber nicht ehrlich so meinen", erklärt sie. Die Asiaten hingegen zählen eher zur Kokosnusskultur. Sie geben sich nach außen zunächst hart und distanziert, sind dann aber unglaublich gastfreundlich und zeigen das auch. Hat man das nicht klar, kann das erste Zusammentreffen leicht befremdlich werden.

Am schwierigsten findet sie die Disziplin "Vorurteilslos aufeinander zugehen". "Wir schließen oft von Äußerlichkeiten auf Dinge, die sich aber neutral betrachtet als falsch herausstellen", sagt Tabitha. Sie führt dazu ein Beispiel an: Wenn wir eine Frau hinter einem Mann hergehen sehen, nehmen wir das leicht abwertend und führen es darauf zurück, dass die Frau nichts zu sagen habe. "In der türkischen Kultur hat das aber etwas mit dem Schutz der Frau zu tun", erklärt die Verwaltungsfachangestellte das, was sie gelernt hat.

Auch wirkt es auf manche Kulturen als ausgesprochen unhöflich, wenn Behördenmitarbeiter nach deutscher Manier gleich zur Sache kommen. In anderem kultu­rellen Kontext heißt das, kein Interesse an dem Men­schen zu haben und drückt eine abwertende Haltung aus. "Wir hingegen finden es oft vielleicht nervig oder schleimig, wenn unser Gegenüber uns zunächst nach unserem Wohlbefinden und der Familie fragt", sagt Tabitha Henn. Solches Wissen hält sie für die tägliche Arbeit für wichtig. Es erleichtere den Umgang miteinander und beuge Missverständnissen vor. "Wenn auch nicht in die­ser Intensität, so haben aber viele Behörden Berührung zu Migranten. Darum sollte man das überall in der Stadtverwaltung berücksichtigen", findet die junge Frau.

Für Tabitha Henn hat sich durch das Modellprojekt nicht nur ihr Arbeitsplatz äußerlich verändert: Es wurde frisch gestrichen, es hängen Willkommensplakate mit einer Begrüßung in zahlreichen Sprachen in Fluren und Zimmern und es ist den Besuchern der Behörde durch farbige Leitsysteme leichter gemacht worden, sich in dem für sie fremden Haus zu orientieren. Spielecken für Kinder und ein Lächeln zur Begrüßung sind dort über die Erprobungsphase hinaus. "Ich selbst habe meine Vorgesetzte nun auch gebeten, einmal mit in eines der Flüchtlingsheime fahren zu dürfen. Ich möchte ein besseres Gefühl dafür bekommen, unter welchen Umständen sie hierhergekommen sind und unter welchen schwierigen Umständen sie hier leben." So ist aus einem theoretischen Umbau in Remscheid ein Stück gelebte Wirklichkeit geworden. Die Bemühungen dort zeigen, dass Behörden keine Stempelanstalten sind, sondern dass dort Menschen für Menschen arbeiten.


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