Für die umfangreichen Sanierungsarbeiten an Dach und Turm der Lutherkirche spendeten Remscheider Bürgergerinnen und Bürger 300.000 Euro. Das allein wäre schon einen Festgottesdienst wert gewesen. Den beging die evangelische Auferstehungs-Kirchengemeinde am Sonntag aber auch aus Anlass des 125. Geburtstags der Lutherkirche. Die Predigt hielt dabei Oberbürgermeister Burkhard Mast-Weisz, der den Spendenaufruf zur Sanierung der Kirche seinerzeit mitinitiiert und unterzeichnet hatte. Anknüpfend an das Markusevangelium, 3.Kapitel, Verse 31 - 35 (Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter) beschäftigte sich der OB in seiner Predigt mit dem Begriff der Familie. Der Waterbölles dokumentiert die Predigt nachfolgend.
Liebe Gemeinde, wer ist unsere Familie? Natürlich zunächst einmal die, in die wir hineingeboren wurden und die die wir selbst gegründet haben. Für mich sind es, da meine Eltern nicht mehr leben, meine vier Geschwister und vor allem meine Frau und meine Kinder. Die letztgenannten stehen im Mittelpunkt meines Lebens. Nicht zeitlich, da ich viel Zeit in meinem Amt verbringe. Emotional aber allemal, zumal meine Tochter in wenigen Tagen kirchlich heiratet und das beim Vater vielleicht noch mehr als bei der Mutter Herzklopfen auslöst. Meine Kinder haben einen tollen Weg genommen. Aber auch mir ging es, als sie Jugendliche waren, manchmal so wie Maria. Trotz allen Vertrauens habe ich nicht alles verstanden, was sie gemacht haben. Gerade als sie Jugendliche waren und häufig bis sehr spät unterwegs, habe ich mich gefragt, wo sie sind und mit wem sie unterwegs sind. Richtig schlafen konnte ich erst, als spät nachts die Haustür ging und ich sie zu Hause wusste.
Das klassische Familienbild hat sich längst verändert. Vater, Mutter, Kinder war einmal. Heute gibt es viele Möglichkeiten, sich als Familie zu verstehen. Patchwork, alleinerziehend, gleichgeschlechtlich, viele Lebensformen sind möglich, sie alle gehören dazu.
Heute feiern wir den 125. Geburtstag der Lutherkirche. Schön ist sie nach der Sanierung geworden. Sie ist eine Wegmarke, die man schon von weitem sieht. Ich möchte all denjenigen danken, die sich dafür eingesetzt haben. Sie ist ein wunderbares Bauwerk in einer der schönsten Straßen in unserer Stadt. Die Lutherkirche ist sehr einladend geworden und lädt auch ein. Sie möchte Heimat sein für Christinnen und Christen, für die Mitglieder der Gemeinde, für die Menschen in unserer Stadt.
Gelingt das heute noch angesichts der Tatsache, dass wir überall von zurückgehenden Zahlen der Mitglieder in den Gemeinden lesen und hören? Ich habe ein Bild davon, wie schwierig es für Pfarrer und Presbyterium ist, den Spagat herzustellen zwischen denjenigen, die schon lange dabei sind, denjenigen, die zwar Mitglied sind, aber am Gemeindeleben nicht teilnehmen und denen, die sich von Kirche nicht ansprechen lassen. Dazu bedarf es viel Fingerspitzengefühl und unterschiedliche Angebote. Wie einladend ist Kirche heute?
Wie politisch darf und muss Kirche sein? Nicht parteipolitisch, sondern in der Stellungnahme zu Entwicklungen in unserem Land und zu Lebenssituationen der Menschen. Jesus war streitbar. Aus meiner Sicht fordert er uns geradezu dazu auf, Stellung zu beziehen zu Ungerechtigkeiten und Fehlentwicklungen. Er fordert uns dazu auf, Lösungen für das Thema Armut zu finden. Er fordert uns dazu auf, den Blick nicht davor zu verschließen, dass fast jedes fünfte Kind heute in unserer Stadt in Familien lebt, die von Armut bedroht sind oder arm sind. Er fordert uns dazu auf, die Stimme zu der Tatsache zu erheben, dass Ältere, insbesondere Frauen, die ein Leben lang gearbeitet haben, heute mit einer viel zu kleinen Rente leben. Noch Freitag habe ich in Berlin wieder erlebt, dass ein alter Mann Mülleimer nach Pfandflaschen durchsucht hat. Nur in Berlin? Nein, das sehen wir auch in unserer Stadt, wenn wir die Augen nicht verschließen. Er fordert uns dazu auf, unsere Stimme zu erheben, wenn Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ertrinken. Er fordert uns auf, uns für den Erhalt der Schöpfung zu engagieren. Wir dürfen nicht so mit unserer Erde so umgehen, als gäbe es nach uns keine weiteren Generationen. Nicht immer mehr, sondern ein klares Bekenntnis für eine gerechte Verteilung für alle Menschen auf unserer Erde, das ist unsere Aufgabe.
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