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Junge Arbeitslose kamen bis zu 20 Wochen ins Lager

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 „Jetzt wird gestreikt":„1928 wurde ich als Gärtnergeselle arbeitslos. Aber ich wollte unbedingt arbeiten, ganz gleich was. Ich bin dann in ein Walzwerk gegangen, in den Schmelzbau, wo die großen Blöcke gegossen wurden. Wenn man das so bedenkt, ich war bislang immer drau­ßen in der Natur, an der frischen Luft, und kam jetzt in so ein Werk. Die ersten Tage dachte ich, ich wäre kaputtgegangen. Ich musste aber durchhalten, denn ich verdiente gut. Nach zwei Jahre wurde der Schmelzbau stillgelegt, und wir wurden entlassen. Ich war etwa sechs Wochen erwerbs­los, da schickte mir die Firma als einzigem von denen, die entlassen worden waren, Bescheid, wieder anzu­fangen. Ich habe bei der Firma wieder gearbeitet, bis dann der erste Ein­griff kam: Die Kürzung des Lohnes um 15 Prozent. Die Arbeit an der großen Blockwalze war so schwer, dass ich abends oft zu erschöpft war, die Zei­tung zu lesen. Da wurde ge­streikt. Der Streik wurde aber nicht anerkannt, weil er nicht durch die Gewerkschaft ging. Deshalb zahlte das Ar­beitsamt auch keine Erwerbslosenun­terstützung. Wir waren ein Vierteljahr lang ausgesperrt und bekamen keiner­lei Unterstützung. Das war eine bittere Zeit für die Männer, die Frau und Kinder hatten. Ich war noch ledig, mir hat das nicht viel gemacht. Aber das Schlimmste war, wir wurden ausgesperrt im gan­zen Rheinland. Dafür hatte der Ar­beitgeber-Verband gesorgt. Wir kamen auf die schwarze Liste und bekamen keine Arbeit mehr. Ich hab so un­gefähr ein Vierteljahr lang durchge­halten. Dann traf ich jemanden, der mich als Gärtner, meinem erlernten Beruf, einstellte. Das ging aber nur eine Woche gut, da hatte sich der Ar­beitgeber-Verband schon eingeschaltet. Da mein neuer Chef als Landschafts­gärtner viele Fabrikanten als Kunden hatte, deren Anlagen er betreute, und die er nicht verlieren wollte, musste er mich entlassen. Er hat mir dann aber bei einem Fabrikanten eine schöne Stelle als Privatgärtner besorgen kön­nen. Dort bin ich bis zu meiner Pensio­nierung geblieben."

Einen Pfennig pro Stunde mehr:„Als ich aus der Schule entlassen wurde, ging es darum, Arbeit zu krie­gen. 1932 aber gab es keine Arbeit. Ich hätte so gerne eine Lehrstelle ange­nommen. Gern wäre ich Verkäuferin geworden. Eines Tages traf ich eine frühere Schulkameradin, die ein Mäd­chen kannte, das in Lennep beim Mühlinghaus arbeitete. Dort suchten sie gerade noch Arbeitskräfte. Da hab ich dann eine Stelle gekriegt mit 16,5 Pfennig Stundenlohn. Ich musste die rohgenähten Artikel wie Herrenun­terwäsche und Sporthemden oben schön ausfalten, damit sie sauber nach­geschnitten werden konnten. Da hatte ich immer Ballen vor mir liegen, wo ich kaum drüber gucken konnte. Es wurde nach Alter bezahlt. Als ich ein Jahr älter wurde, kriegte ich einen Pfennig pro Stunde mehr. Nach ei­niger Zeit meinte der Meister, ich könnte mal an die Maschine gehen und nähen. Das war eine elektrische Näh­maschine. Ich habe es auch versucht; es klappte, sicher, aber den Akkord, den die machten, hab ich nicht ge­schafft. Wie schnell da alles gehen musste! Das konnte ich nicht. Die Nazizeit hatte inzwischen angefan­gen. Auf einmal kamen viele Aufträge: Militärhemden und Militärunterho­sen. So Berge habe ich bestimmt noch nie gesehen. Nun war genug Arbeit da."

Das alte Arbeitsamt an der Hindenburgstraße.Teil III

Im Verwaltungsbericht für 1925 spricht Oberbürgermeister Hartmann über seine besondere Besorgnis um die arbeitslose Jugend. Die Stadt richtete eine Holzzerkleinerungsstelle ein, deren Produkt, Brennholz, von der Stadt verkauft wurde. Zur Arbeit her­angezogen wurden durchreisende mittellose Wanderer, vom Wohl­fahrtsamt Unterstützte und Jugendli­che. Wer diese Arbeit jedoch ablehnte, dem wurde die Unterstützung gestri­chen. Auf anderer Ebene begannen Anfang der 30er Jahre Diskussionen über einen freiwilligen oder pflichtmä­ßigen Arbeitsdienst. Neben der Frage einer Arbeitszeitverkürzung gewann als weiteres Mittel zur Entlastung des Arbeitsmarktes der Arbeitsdienst an Aufmerksamkeit. Zwar wurde der Gedanke der Arbeitsdienstpflicht, der in der NSDAP und der bündi­schen Bewegung gepflegt wurde, von Parteien wie Regierung hauptsächlich aus materiellen Gründen abgelehnt. Dagegen sahen Politiker wie auch Regierungskreise immer stärker im freiwilligen Arbeitsdienst eine will­kommene Gelegenheit, die arbeits­lose Jugend, der vielfach nach der Schulentlassung jedwede Beschäftigung fehlte, von der Straße und damit vom Einfluss des politischen Radikalismus wegzunehmen und sie mit geregelter Arbeit vertraut zu machen. Es waren somit besonders politische und ar­beitsmoralische Gründe, die dem frei­willigen Arbeitsdienst den Weg glätteten. Mit Mitteln aus der Arbeitslosen­unterstützung und der Krisenfür­sorge ausgestattet und mit der Auf­lage versehen, er dürfe nicht für poli­tische oder staatliche Zwecke miss­braucht werden, wurde der „Freiwil­lige Arbeitsdienst" 1931 ins Leben ge­rufen. Bis November waren schon rund 200 Maßnahmen von öffentlichen Körperschaften, Kirchen, caritativen Verbänden sowie Gewerkschaften, aber auch Wehrverbänden in Angriff genommen. Die Aktivitäten erstreckten sich dabei auf Bodenverbesse­rungen, Aufforstungen, Wegebauten und Errichtung von Sportplätzen.

Arbeitsdienster bei der Anlage eines Sportplatzes.In Remscheid waren so unterschied­liche Organisationen wie - um bei der Vielfalt nur zwei zu nennen — die „Deutsche Jugendkraft" und der „Stahlhelm" als „Träger des Dien­stes" tätig. Unter dem Titel „Jugend schafft" gewährt ein Bericht im RGA Einblick in einen Aspekt dieses Ar­beitsbeschaffungsprogramms : „Der Stahlhelm, Gau Berg, Arbeitslager Remscheid-Lennep, so heißt das ge­schlossene Lager für den Freiwilligen Arbeitsdienst, das der Stahlhelm im Bezirk Groß-Remscheid einrichtete." Im Sommerlokal „Tocksiepen" bezog der Stahlhelm Quartier, das für 35 Personen ausgelegt war. Vom Lan­desarbeitsamt wurde eine Arbeitsbe­schaffungsmaßnahme genehmigt, die darin bestand, die Waldungen des Forstamtes Remscheid-Lennep mit­tels „Durch- und Aufforstungsarbei­ten" zu betreuen. „Nach Einrichtung des Lagers kamen die ,Freiwilligen' von selbst, sie kamen zu zweien und dreien und fragten um Arbeit, und sie wurden angenommen, gerade so, wie einst! Junge Leute aus allen poli­tischen Lagern fanden sich in ausge­zeichneter Kameradschaft zusammen, genau so, wie es unter Frontsoldaten auch immer Sitte war. Kamerad­schaftlich ist auch das Einvernehmen zwischen Führer und Freiwilligen. Dennoch hält der Führer auf stramme Zucht und peinliche Ord­nung. Für die Arbeitswilligen werden täglich zwei Mark vom Arbeitsamt bewilligt. Davon erhält der Freiwil­lige 30 Pfennig, 80 Pfennig werden für die Verpflegung gerechnet, der Rest geht in die Kasse, um Schuh­werk, Arbeitskleidung usw. zu be­schaffen. Was es für die 80 Pfennig täglich alles gibt, hat selbst manche sparsame Hausfrau für unmöglich er­klärt.Nun zur Tageseinteilung. Aus dieser ist zu ersehen, dass es nicht nur um die Arbeit geht, sondern dass in erster Linie die Jugendertüchtigung auf dem Programm steht. Früh wird Kaffee getrunken. Dann geht es hinaus in den Wald. Unter sachkundiger Füh­rung wird der Waldboden abgezogen, d. h. von Gestrüpp befreit, altes und krankes Holz beseitigt; junge Bäume werden gepflanzt. Sechs Stunden wird so gearbeitet. Dann geht es zum Mit­tagessen. Es folgt eine kurze Bett­ruhe, gerade wie in der Sommerfri­sche. Der Nachmittag ist der sportli­chen Ausbildung gewidmet - Turnen, Geländesport, Schießen, dabei täg­lich eine Stunde Unterricht: Heimat­kunde, vaterländische Geschichte, et­was Gesundheits- und Rechtspflege -alles, was man als guter Deutscher im Leben wissen muss. Die Abende werden in Kameradschaft verbracht. Zeitig geht es zu Bett.

Küchenzettel für die Woche vom 7. bis 12. No­vember 1932. Es werden pro Kopf und Tag ausgegeben:
500 gr. Brot, 50 gr. Aufstrich, 50 gr. Belag. Als Getränk wird morgens Kornkaffee, abends Tee verabreicht.
Montag:
Sauerkraut, Kartoffeln, 125 gr. Speck; abends: gebratene Kartoffeln, 50 gr. Wurst;

Dienstag:
Reissuppe, Kartoffeln, Fleischbäll­chen; abends: Kartoffelsalat, Wurst;

Mittwoch:
Linsensuppe, Kartoffeln, 500 gr. Kleinfleisch; abends: Kartoffeln mit Zwiebelsoße;

Donnerstag:
Wirsing, Kartoffeln, 125 gr. Fleisch; abends: Rahmkartoffeln, Wurst;

Freitag:
Möhren, Kartoffeln, 125 gr. Fleisch; abends: Kartoffelsalat, Würstchen;

Samstag:
Erbsensuppe, Kartoffeln, 125 gr. Speck; abends: Pellkartoffeln, Hering.

So fasst der Stahlhelm die Aufgabe der Jugendertüchtigung an: "Unsagba­ren Widerständen zum Trotz muss es gelingen, aus diesen kleinen Anfängen heraus, bei denen auch wir viel ler­nen müssen, neue Wege zu finden, um unserer Jugend das zu vermitteln, was sie in 14 Jahren leider hat entbeh­ren müssen: Dienst für das Vater­land, körperliche Ertüchtigung, Dis­ziplin und echten Kameradschaftssinn." Bis zu 20 Wochen konnten nunmehr junge Arbeitslose - in der Praxis wa­ren es überwiegend männliche Jugend­liche - in Arbeitslagern zusammenge­fasst werden. Als besonders förder­lich erwies sich dabei die Gesetzge­bung, die 1931 das Mindestalter für den Empfang von Unterstützung auf 21 Jahre angehoben hatte. Die Ka­nalisierung der Not in die Organisa­tionen begünstigte nicht zuletzt den Auftrieb solcher nationalistischen, pa­ramilitärischen Verbände wie den Jungdeutschen Orden und den Stahl­helm; letzterer, ein alter Frontkämpfer­bund, der 1918 als reaktionäre Wehr­organisation gegründet wurde, ging 1933 in die SA auf. (aus: “…aber die Jahre waren bestimmt nicht einfach. Remscheider Zeitzeugen berichten aus Kindheit und Jugend“. Von Gerd Selbach. Herausgegeben von der Volkshochschule der Stadt Remscheid 1985.)


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